Der aufmerksame Leser möge sich noch daran erinnern, das ich ab Montag abend ein blaues Damenrad (mit Korb, vorne) mein Eigen nennen durfte. Heute morgen bin ich zu Fuss in die Uni gekommen.
Gestern abend bin ich mit dem Auto nach Hause gefahren worden.
Und zwar mit einem Polizeiauto begleitet von 3 freundlichen Polizisten die mich netterweise bis zur Wohnungstür gebracht haben. Und das mit 0 Promille, um jegliche Vorahnungen in Richtung Alkoholgenuss zu zerstreuen.
Und das kam so: Gut gelaunt habe ich gestern abend unverschämt früh (gegen 10) das Labor auf meinem Drahtesel verlassen und bin guter Dinge in einer warmen Sommerbrise Richtung Heimat geradelt. Kurz hinter dem Unigelände wurde ich an einem Kobanhäuschen von einem Polizisten angehalten, der bemängelte, dass ich (wie die ganzen Japaner auch) kein Licht am Rad brennen hatte. Ich habe mich freundlich entschuldigt und den Dynamo durch beherzten Druck in direkten Kontakt mit dem Vorderrad gebracht. Der nette O-Mawari-san ("Der Herumlaufende") wollte mich fast schon weiter fahren lassen, als er meinte, er werde noch kurz die Registrierungsnummer des Rades abklären. Und was dann passierte ist unglaublich!
Die Ganovenwitze, die ich SUPERSCHERZKEKS bei meinem Blogeintrag am Montag über die "Nacht und Nebelaktion Fahrrad" gemacht habe, wurden dann gestern abend zur harten Realität. Nachdem Unstimmigkeiten zwischen der Registrierungsnummer und meiner Identität festgestellt wurden, wurde ich freundlichst aufgefordert vom Sattel zu steigen und dem Herrn Wachtmeister ins Koban zu folgen wo sein Kollege sich ebenfalls in den Fall einschaltete. Man muss nämlich wissen, das in Japan alle Räder eine Registrierungsnummer tragen weil der Japaner an sich eine große Liebe zu allen Formen der Registrierung, zu Formularen, Ausweisdokumenten, Listen, Datenbanken und Nummern pflegt.
Ich wurde dann ausgequetscht, wie ich an das Fahrrad gekommen sei, wer der ursprüngliche Besitzer war usw (Japanischstunde live, sehr lehrreich). Leider konnte ich da nicht viel zu sagen, weil Fahrräder wie sonstige Haushaltsgegenstände zwischen den Ausländern, die nur kurz in Tokyo wohnen, recht häufig den Besitzer wechseln. Die Polizisten haben auf Grundlage meiner Aussage ein völlig wirres Organigramm a la "wer hat das Rad wem gegeben, wer kennt wen usw" verfasst. Weil die beiden Gesetzeshüter verständlicherweise mit diesem komplexen Tatbestand völlig überfordert waren, haben sie noch zwei Kollegen zur Hilfe angefordert, die prompt mit Blaulicht (das in Japan rot ist) herbeieilten um eine SOKO zu gründen, in deren Mittelpunkt ich arme Langnase sass (und vergeblich versucht habe, das laute Klickgeräusch meiner Handykamera abzuschalten um die Situation in Fotos festzuhalten).
Es wurde wild diskutiert, das Corpus Delikti von allen Seiten inspiziert, tausendmal telefoniert und in Handbüchern nachgeschlagen, in denen SICHER zu lesen ist, was in solchen Fällen zu tun ist. Mir wurde dann der Hörer in die Hand gedrückt und vom Hauptpräsidium aus auf Englisch erklärt, ich müsse mit auf die nächste Wache fahren, dort das Rad in Gewahrsam geben und dies gegen zu zeichnen.
Da ich nichts besseres zu tun hatte und diese Story nur halb so interessant wäre, wenn ich nicht im Polizeiauto gesessen hätte, nahm ich auf dem Rücksitz platz und liess mich zur Hauptwache in Hongo chauffieren (mit dem Fahrrad durfte übrigens der dienstjüngste Polizist hinterherfahren - mann, da musste ich mir so verkneifen brüllend loszulachen...). Dort angekommen scharten sich weitere Ordnungshüter um den Auserirdischen, den die Kollegen aus dem Koban aufgegegabelt haben und jeder hatte etwas schlaues zu sagen (auf Japanisch). Ich habe ein kühles Getränk bekommen und musste in ein Formular schreiben, dass ich damit einverstanden bin, dass das Fahrrad konfiziert wird um es dem ursprünglichen Eigentümer zurückzugeben. Das ganze habe ich dann mit meinem Fingerabdruck besiegelt, es wurden Kopien von meiner Alien Registration Card und meinem Uniausweis gemacht und ich durfte um kurz vor 12 die Wache in Begleitung der Polizisten verlassen, die mich dann heim gefahren und bis zur Wohnungstür begleitet haben, um zu sehen, dass ich da auch wirklich wohne (der eine Polizist meinte beeindruckt, dass es ja ein tolles Haus sei und wieviel Miete ich denn zahlen würde...).
Ich habe mich übrigens japan-untypisch NICHT bedankt dafür, dass man mich heimgebracht hat...
Zur Zeit kläre ich mit Welles Hilfe die interessante Vorgeschichte des Rades, weil ich am Sonntag nochmal Termin auf dem Präsidium habe (ein Grund mal meinen besten Anzug anzuziehen). Heute abend werde ich durch Tokyo ziehen (zu Fuss) und Sudokuheftchen an die gelangweilten Polizisten in den Kobanhäuschen verteilen. Vielleicht werde ich auch fremder Leute Räder mit Billigfahrradschlössern aus dem 100 Yen laden abschliessen, mal sehen...
PS: Bitte drückt mir die Daumen, dass die japanischen Gefängnisse besser sind als die türkischen und wäre nett, wenn jemand schon mal Frank-Walter Steinmeier anrufen könnte.